Curdin Tones

Immer der Nase nach

Curdin Tones oberhalb von Tschlin
Das Engadin, so malerisch es ist, kann man nicht nur über die Augen und Ohren erfahren, sondern auch über die Nase. Wie das geht, weiss Curdin Tones. Der Künstler aus Tschlin vermittelt mit seinem sensitiven Schaffen, wie man eine Landschaft bewusst erriechen kann.
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Wer anfängt, bewusst zu riechen, wird überrascht sein, wie reichhaltig die Landschaft duftet und schmeckt.

Curdin Tones Kunstschaffender

Curdin Tones, Tschlin

Curdin Tones streift durch den Wald oberhalb Tschlin, in der Hand trägt er einen geflochtenen Korb. Mit diesem geht er sammeln, aber keine Pilze oder Beeren, zumindest nicht ausschliesslich. Denn ihn interessiert der ganze Wald mit all seinen Gewächsen, Bewohnern, Materialien und Substanzen.

Story Curdin Tones, Dominik Täuber
Wald oberhalb des Dorfes Tschlin
Story Curdin Tones, Dominik Täuber

Ein bisschen wie Zimt

Er schnuppert an Gräsern, Zweigen, Holzstämmen und Wurzeln. Und wenn seiner Nase etwas auffällt, zerreibt er es in der Hand und probiert es auch mit der Zunge. «Diese Lärchenrinde schmeckt erstaunlich beerig, ein bisschen wie Zimt», sagt er.

Story Curdin Tones, Dominik Täuber
Story Curdin Tones, Dominik Täuber

Auf diese Weise sammelt er Baumrinde und Harz, frische Nadeltriebe und Blätter, aber auch Mist von Hirschen oder Steinböcken. Später verarbeitet er die gesammelten Materialien zu feinen Pülverchen, die in seinem Haus in Tschlin in unzähligen Gläsern herumstehen. Er stellt daraus Räucherstäbchen oder Duftsprays für seine Kunstaktionen und Kulturprojekte her.

Immer lokal und mit Menschen

Curdin Tones ist ein Künstler, der im sozialen Kontext arbeitet, der hinausgeht zu den Leuten, ins Dorf, in die Natur und sich für das soziale Zusammenleben interessiert und engagiert. Seine Projekte und Aktivitäten haben immer einen starken, lokalen Bezug. Zu Tschlin, dem Engadin und alpinen Raum im Allgemeinen.

Story Curdin Tones, Dominik Täuber

Engadiner Raucherstäbchen

Er freut sich, wenn er seinem Publikum etwas Neues oder Überraschendes aufzeigen kann. Ein emanzipatorischer Ansatz – dass die Leute etwas lernen und selber erfahren können – ist ihm wichtig. Darum veranstaltet er Workshops, wo man selber Zutaten im Wald sammeln und Engadiner Räucherstäbchen daraus herstellen kann.

Story Curdin Tones, Dominik Täuber
Story Curdin Tones, Dominik Täuber

Somalgors 74

2017 hat Curdin die Kulturinitiative SOMALGORS74 in Tschlin gegründet. Erstmals Aufmerksamkeit erlangte die Kulturinitiative mit einem übergrossen QR-Code, den Curdin als Sgraffito an seine Hauswand kratzen lies. Mit zugehöriger App kann man so digitale Sgraffito-Ornamente als Augmented Reality abrufen.

QR Code Somalgors 74, Augmented Reality Projekt

Augmented Reality-Erlebnis in Tschlin

Durch die Applikation «Fatschadas», kann der QR Code an der Fassade gescanned werden. 

Welten verbinden

Curdin mag es, Welten zu verbinden: Tradition und Moderne, Vergangenheit und Zukunft, Urbanes und Rurales. Ihn interessiert der Gesellschaftswandel im lokalen Kontext und was dieser mit Menschen macht. So entstand auch das Projekt «Bügl Public», welches heutiges Wellnessvergnügen mit der früheren Brunnengemeinschaft verbindet.

Wellness im Dorfbrunnen

Auch diesen Sommer finden in den Dorfbrunnen von Scuol und Ftan öffentliche Brunnenbäder statt. Das Wasser wird mit Holzfeuerung erwärmt, Liegerost und Whirlpool-Pumpe sorgen für Entspannung pur. Ziel ist es, den Dorfbrunnen als sozialen Treffpunkt wiederzubeleben.

Bugl püblic in Tschlin
Das Bewusstsein schaltet sich erst ein, wenn uns ein Geruch überrascht.

Die unterschätzte Nase

In letzter Zeit hat sich SOMALGORS74 intensiv mit dem Geruchssinn auseinandergesetzt und dabei viel Neuland betreten und Neugier erweckt. Für Curdin ist die Nase ein unterschätztes Sinnesorgan: «Wir meinen, dass wir Menschen nur schlecht riechen können; doch wir können es ziemlich gut, wenn wir anfangen, bewusst wahrzunehmen, was wir riechen.»

«Adüna davo il nas»

Genau dies will er den Leuten vermitteln: Dass sie lernen, die Landschaft des Engadins nicht nur mit den Augen und Ohren wahrzunehmen, sondern ganz gezielt mit der Nase, um so in eine neue und äusserst vielfältige Welt einzutauchen. «Adüna davo il nas» – «Immer der Nase nach», heisst dieser praktische und lehrreiche Workshop, den Curdin in Zusammenarbeit mit der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und befreundeten Künstlern entwickelt hat.

Curdin Tones während seinen Workshops in Tschlin
Sicht auf die Unterengadiner Berglandschaft von Tschlin aus
Sicht auf die Unterengadiner Berglandschaft oberhalb von Tschlin
Geruchs-Workshop «Adüna davo il nas» – «Immer der Nase nach»
Ein Workshop, den Curdin mit der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und befreundeten Künstlern entwickelt hat.

Die Teilnehmer*innen erhalten Anleitungen und Techniken, um bewusst zu riechen. Die Gruppe kniet beispielsweise nieder, um direkt am Waldboden oder auf Kniehöhe zu schnuppern und zu schnüffeln. Also in dem Bereich, wo sich ein Hund oder Fuchs bewegt, welche Gerüche laufend analysieren. Doch das sei bloss, die Nase aufwärmen, so Curdin. Eine komplexere Übung ist, das «olfaktorische Panorama» zu finden: einen Standpunkt in der Landschaft, wo besonders viele und gute Gerüche zusammenkommen.

Visuell gesteuerter Mensch

Curdin sagt: «Als aufrechtgehende Menschen sind wir visuell gesteuert und nehmen Gerüche meist nur unbewusst wahr. Das Bewusstsein schaltet sich erst ein, wenn uns ein Geruch überrascht: Wenn es brennt. Wenn es stinkt oder besonders fein riecht. Wenn ich ein fremdes Haus betrete oder einen vertrauten Geruch wiedererkenne. Darum haben die Leute das Gefühl, sie riechen nicht gut.»

 

Kühe, die durch das Bergdorf Tschlin ziehen
Mit Tschlin habe ich mich immer sehr verbunden gefühlt.

Geruch von Heu und Kuhmist

Gerüche werden im emotionalen Teil des Hirns verarbeitet und können sich auch als Erinnerungen abspeichern. Curdin kann sich zum Beispiel gut daran erinnern, wie es in Tschlin gerochen hat, als er als Bub aus dem Postauto stieg. «Mir wehte ein subtiler, aber allgegenwärtiger Duft aus süsslichem Kuhmist und Heu entgegen.» Der kleine Curdin mochte diesen Geruch, er empfand ihn als wohlriechend und nicht als beissend wie auf den Bauernhöfen im Unterland.

Bergdorf Tschlin

Archiv der alpinen Geruchserinnerungen

Doch heute rieche es nicht mehr so in Tschlin, sagt Curdin. «Die Kühe leben nicht mehr direkt im Dorf, sondern ausserhalb in grossen Ställen, wo sie wie im Unterland gefüttert werden, nicht mehr nur mit Heu, sondern auch mit Silofutter. Die Geruchsqualität von früher ging damit leider verloren.»

Darum hat Curdin nach Wegen gesucht, um Geruchserinnerungen zu materialisieren und so mit anderen Menschen teilen zu können. Darum hat er mit Philipp Kolmann das «Archiv der alpinen Geruchserinnerungen» für SOMALGORS74 ins Leben gerufen. Gemeinsam haben Sie die ersten Geruchserinnerungen materialisiert und für das Archiv aufbereitet. 

Im Archiv können die Gäste Duftsprays auf Objekte sprühen oder Räucherstäbchen abbrennen lassen – und den ehemaligen Heu-Kuhmist-Geruch von Tschlin ganz real einatmen. Oder den Duft einer angeschwärzten Küche in einem alten Engadiner Haus. Oder den Geruch beim Ziegenmelken… Insgesamt sind bisher rund zehn alpine Geruchserinnerungen von verschiedenen Leuten archiviert.

Archiv der Alpinen Geruchserinnerungen, Curdin Tones
Archiv der Alpinen Geruchserinnerungen, Curdin Tones
Archiv der Alpinen Geruchserinnerungen
Archiv der Alpinen Geruchserinnerungen, Curdin Tones

Zürich, Amsterdam, Tschlin

Mit Tschlin, der Heimat seines Vaters, war Curdin von Kindesbeinen an eng verbunden. Zur Schule ging er zwar in der Agglomeration Zürich, aber aufgewachsen sei er zum grossen Teil im sonnigen Engadiner Dorf. Nach dem Gymnasium studierte er Kunst in Amsterdam, wo der 48-jährige bis heute einen Wohnsitz hat. In Tschlin hielt er sich aber immer regelmässig auf. Und seit er sich ein Haus gekauft hat und anfing, vermehrt kontextspezifisch zu arbeiten, verlagerte er seinen Lebensmittelpunkt je länger je mehr ins Unterengadin.

Er liebt die grandiose Landschaft, das Ursprüngliche, seinen Gemüsegarten, die einfache Berghütte, welche sein Urgrossvater gebaut hat, die romanische Sprache und die guten Freundschaften in der Dorfgemeinschaft. «Ich habe mich immer sehr verbunden gefühlt mit Tschlin.»

Welten verbinden

Er mag aber auch das Urbane und den kulturellen Schmelztiegel einer Grossstadt wie Amsterdam. Daher rührt sein Verständnis als Vermittler und Verbinder von unterschiedlichen Welten. «Ich hatte schon immer eine Art Zwischenposition inne, aus der ich gerne Dinge erschaffe.» /

Text: Franco Furger, Bild: Dominik Täuber, Video: OnAir AG

Curdin Tones in seinem Gemüsegarten in Tschlin
Curdin auf dem Majensäss seiner Familie
Curdin auf dem Majensäss seiner Familie

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