Ein Fluss mit vielen Geschichten

River Rafting auf dem Inn

River Rafting
517 km lang ist der Inn von der Quelle bis zum Zusammenfluss mit der Donau – einer der wasserreichsten Flüsse Europas. Rund 30 Kilometer sind ganz besonders. Wild, ursprünglich und actiongeladen – der perfekte Ort für Wildwassersport. Wie fühlt es sich an, in einem Schlauchboot den Inn hinunter zu schippern? Ein Erfahrungsbericht.

Meine erste Tour auf dem wilden Inn

Eine Stromschnelle kündigt sich an. Steine ragen bedrohlich aus dem Wasser und wir steuern geradewegs auf sie zu. Plötzlich beginnt sich unser Boot zu drehen, stösst mit der Nase an einen Stein und holpert seitwärts über das aufschäumende Wasser. Toby lacht. Der erfahrene Raftguide hat alles unter Kontrolle. Er spielt bloss mit der Strömung und hat Spass.

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George Hein

Alle in einem Boot

Der grossgewachsene Engländer ist Steuermann und Kapitän zugleich. Und wir – drei Frauen und drei Männer – sind seine Crew und nicht einfach nur Passagiere. Auf sein Kommando paddeln wir mit aller Kraft vorwärts – oder versuchen es zumindest, unsere Bewegungen sind ganz schön unkoordiniert. «Ihr macht das super», ruft Toby, der hinten sitzt und sein Paddel wie ein Schiffsruder ins Wasser hält.

Der grüne Fluss aus den Alpen

Ich bin zum ersten Mal mit dem Rafting-Boot auf dem Inn, diesem mächtigen Alpenfluss, der auf seinem Weg durchs Engadin und Tirol von zahlreichen Gletschern mit Wasser gespeist wird – mehr als 300 sollen es derzeit noch sein. Dem Gletscherwasser und den darin enthaltenen Schwebeteilchen verdankt der Inn seine milchig-türkise Farbe, für die er so bekannt ist. Nicht umsonst wird er als «der grüne Fluss aus den Alpen» bezeichnet.

River Rafting

Toby steuert die nächste Stromschnelle an. Das Boot wird zusammengestaucht und gerät in Schieflage. Kippen wir gleich in den kalten Inn? So wie auf den Fotos, die ich auf der Raftbasis gesehen habe. Ach was! Das war noch weit vom Limit entfernt, meint Toby, der hier schon hundertfach runtergefahren ist.

Plötzlich ein wilder Fluss

Während der Inn im oberen Engadin relativ flach und gemächlich verläuft, verwandelt er sich im Unterengadin in einen wilden Gebirgsfluss. Das Gefälle ist plötzlich steiler und das Wasser hat hier mehrere Schluchten in die Landschaft gefressen, wo der Inn ungezähmt talwärts preschen kann. Ein Naturjuwel und Eldorado für Wildwassersportler.

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River-Rafting seit 25 Jahren

«Kajaker aus aller Welt kommen hierher, um einmal durch die berühmte Giarsunschlucht zu fahren», sagt George Hein. Er ist Geschäftsführer von «Engadin Adventure» und somit Tobys Chef. Die Firma organisiert seit 25 Jahren River-Rafting-Touren auf dem Inn. George ist übrigens auch der Sprecher in den Kurzvideos.

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George Hein

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Das Leben als Raftguide ist vielseitig, erfahren Sie mehr über George und seine Erfahrungen.

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Ein bisschen wie Kanada

Wir sind nicht in der wilden Giarsunschlucht, sondern weiter unten auf der gemütlicheren Scuoler-Strecke unterwegs, wo das Gefälle wieder weniger steil ist. Zu meiner Überraschung nimmt Toby eine Stromschnelle rückwärts, natürlich lacht er und zeigt auf einen prächtigen Berg. «Schaut, dieser Blick erinnert mich an Kanada».

River Rafting

«En» heisst der Inn auf Rätoromanisch. Wenn man jetzt noch das Wort «Giardina» hinzufügt und dabei das R verschluckt, entsteht der Name des berühmten Hochtals: Engiadina – der Garten des Inns.

Tierische Begleiter

Mittlerweile macht mir das River Raften so richtig Spass und ich habe auch Zeit, um die vorbeziehende Landschaft zu betrachten. Fichten und Lärchen wachsen bis nah ans Ufer, so dass ich Eichhörnchen sehen kann, die von Ast zu Ast hüpfen. Plötzlich taucht ein Fischreiher auf, der vor uns über das Wasser fliegt und nach Beute Ausschau hält. Wahrlich ein schöner Garten dieses Engadin, und voller Leben.

River Rafting

Geschichtsträchtige Bauten

Ein Hinterhalt: Das zweite Boot wartet hinter einem Stein und spritzt uns beim Vorbeifahren nass. Wir jauchzen und geben mit unseren Paddeln dasselbe zurück. Dann taucht linkerhand das ehrwürdige Scuol Palace auf: ein prächtiger Bau aus der Belle Époque, damals bekannt als Kurhaus Tarasp. Im 19. Jahrhundert verkehrten hier Könige und Zaren, um Mineralwasser zu trinken und darin zu baden.

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Über 20 Mineralquellen sprudeln rund um Scuol aus dem Untergrund, viele davon in der Nähe des Inns. Der Grund für dieses Phänomen ist die geologische Besonderheit, dass hier sehr alte Gesteine an die Oberfläche treten, die für gewöhnlich überdeckt liegen.

Berühmtes Mineralwasser

Die drei berühmtesten Mineralquellen – Bonifacius, Emerita und Lucius – waren in der Trinkhalle «Büvetta Tarasp» gefasst. Dieses langgezogene Bauwerk taucht nun auf der rechten Flussseite auf. Ich staune, wie wir langsam an diesem Zeitzeugen des frühen Kurtourismus vorbeischippern. Heutzutage ist die Trinkhalle aus Sicherheitsgründen leider nicht mehr zugänglich.

Büvetta

Wasser wie Eisen

«Pause!», ruft Toby. Wie Pause? Er steuert das Boot nach links, lässt sich vom Kehrwasser treiben und schon haben wir am Ufer angelegt. Ein guter Raftguide könne sein Boot immer und praktisch überall im Fluss anhalten, meint er schulterzuckend. Ein paar Schritte weiter oben befindet sich die Büvetta Sfondraz. Es gibt feine Snacks und Getränke, und wer mag, kann von der Mineralquelle probieren, die hier entspringt. Das Wasser schmeckt wie Eisen, aber gesund soll es sein.

George Hein
River Rafting

Wir sitzen wieder in unserem mittlerweile vertrauten Untersatz aus Gummi. Die schwierigen Passagen liegen hinter uns, Zeit zum Geniessen. Toby zeigt auf eine markante Linie am steilen Uferhang. «Im Frühjahr ist das Wasser bis dort hochgestiegen. Der Fluss verändert sich dauernd, Kiesbänke kommen und gehen.»

River Rafting

Strom aus dem Inn

Der Wasserstand schwankt durch natürliche Einflüsse wie Starkregenfälle oder Schneeschmelze, gleichzeitig ist der Inn ein regulierter Fluss. Die Engadiner Kraftwerke leiten und pumpen einen Grossteil des abfliessenden Wassers durch Druckstollen und in den Livigno-Stausee. Dadurch führt der Inn im Unterengadin bloss eine Restwassermenge.

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Plötzlich befahrbar

Strom wird so seit 1970 produziert. In den 80er-Jahren entdeckten dann die ersten River Rafter den Inn, sie fuhren auf der Scuoler-Strecke bis nach Martina hinunter. Die Giarsunschlucht war damals noch nicht befahrbar, da der Inn deutlich mehr Wasser führte als heute. Doch mit dem Bau einer zweiten Kraftwerkstufe im Jahr 1993 reduzierte sich die Fliessmenge – und plötzlich war River Rafting in der Giarsunschlucht möglich. Der Wildwassersport im Engadin bekam dadurch ein weiteres Highlight.

Scuol

Langsam neigt sich unsere Tour dem Ende zu. Wir fahren an Scuol vorbei, erkennbar an der Kirche San Geer, die stolz auf einem Felsen thront. Ein weiteres ikonisches Bild, das sich mir einprägt. Schliesslich erreichen wir Pradella, wo der Inn gestaut wird und nur noch langsam fliesst.

Wieder Land unter den Füssen

Die Hälfte der Crew springt ins Wasser, lässt sich genüsslich treiben und schwimmt an Land. Hier müssen wir den Inn zwingend verlassen. Eine Weiterfahrt ist aufgrund der Schleuse des nahen Kraftwerks nicht möglich. Man könne diese aber umlaufen und weiter unten wieder in den Fluss steigen. Ich bin erstmal froh, wieder Land unter den Füssen zu spüren. Danke Toby und Crew für dieses einmalige Erlebnis.

George Hein
River Rafting

Text: Franco Furger
Bilder: Dominik Täuber